Intervju ministra Grlića Radmana za Süddeutsche Zeitung

Endlich auf dem Gipfel

Erst seit sechseinhalb Jahren dabei, ist Kroatien das juumlngste Mitglied der EU. Nun uumlbernimmt das Land die Ratspraumlsidentschaft. Es erbt damit ein paar der draumlngendsten Probleme der Europaumlischen Union.

Der Stolz wird durch eine Erkaumlltung nicht gemindert. Gordan Grlić Radman ruumlhrt viel Honig in den Tee, als er die Plaumlne seines Landes fuumlr die kommenden sechs Monate beschreibt. Eines ist Kroatiens Auszligenminister aber wichtig: quotAls die Berliner Mauer fiel, konnte sich niemand vorstellen, dass wir die Unabhaumlngigkeit erreichen und 30 Jahre spaumlter die Ratspraumlsidentschaft der EU uumlbernehmen werden.quot Vom 1. Januar an ist es soweit: Sechseinhalb Jahre nach seinem EU-Beitritt fuumlhrt das juumlngste Mitglied ein halbes Jahr lang die Geschaumlfte in der Union, bevor Deutschland uumlbernimmt.

Vier Prioritaumlten nennt die Regierung des Christdemokraten Andrej Plenković, und im Gespraumlch mit der Suumlddeutschen Zeitung redet Grlić Radman zunaumlchst uumlber quotEin Europa, das einflussreich istquot. Das Ziel, quotsich fuumlr eine fuumlhrende Rolle der Union in der Weltquot stark zu machen, teilt auch EU-Kommissionspraumlsidentin Ursula von der Leyen. Wie oft es bisher an Geschlossenheit mangelt, zeigte sich im Oktober, als die Eroumlffnung von Beitrittsgespraumlchen mit Albanien und Nordmazedonien von Paris gestoppt wurde.

Kroatiens Auszligenminister spricht von einer quotkalten Duschequot und findet, dass gerade Nordmazedonien quotnicht fair und korrektquot behandelt worden sei, da es quotalle Bedingungenquot erfuumlllt habe. Lange sei der Namensstreit das einzige Hindernis gewesen, und Skopje sei gelungen, sowohl den Nachbarn Griechenland als auch das eigene Volk zu uumlberzeugen. Es sei im quotstrategischen Interessequot der ganzen EU, Stabilitaumlt in der Nachbarschaft zu haben, weshalb die sechs Westbalkan-Laumlnder eine europaumlische Perspektive braumluchten. Grlić Radman betont aber auch, dass diese Laumlnder Jahre von einer EU-Mitgliedschaft entfernt seien. Auch deswegen waumlre aus quotpsychologischen Gruumlndenquot der Startschuss fuumlr Albanien und Nordmazedonien positiv gewesen, sagt der Chefdiplomat. Dies haumltte Politikern und Buumlrgern gezeigt, dass sich Reformen auszahlen - die gesamte Region muumlsse mehr Wert legen auf Medienfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Dies gelte auch fuumlr Kroatien, sagt er selbstkritisch.

In Bruumlssel spekuliert man, welche Rolle die Kommunalwahl in Frankreich im Maumlrz fuumlr das Nein von Emmanuel Macron spielt, und wie man ihn dazu bringen koumlnnte, auf gesichtswahrende Weise seinen Widerstand aufzugeben. Aber an solchen Gedankenspielen beteiligt sich Grlić Radman nicht. Kroatien moumlchte als quotehrlicher Maklerquot vermitteln, und bereits im Januar will Erweiterungskommissar Oliveacuter Vaacuterhelyi eine quotuumlberarbeitete Methodologiequot vorlegen. Grlić Radman hat noch Fragen an Paris: Sollten neue Regeln nur fuumlr Nordmazedonien und Albanien gelten oder wuumlrde sich quotmitten im Spielquot vieles aumlndern fuumlr Serbien und Montenegro, die schon Beitrittskandidaten sind? Der fuumlr den 7. Mai geplante Westbalkan-Gipfel in Zagreb garantiert, dass das Thema auf der Tagesordnung bleibt.

Ihre naumlchste Prioritaumlt nennt Kroatiens Regierung quotEin Europa, das schuumltztquot. Neben dem Kf gegen Terrorismus moumlchte sie auch Bedrohungen aus dem Cyberspace angehen - und fuumlr eine quotumfassende und nachhaltige Migrationspolitikquot der EU werben. Schon bald duumlrfte diese festgefahrene Debatte neue Fahrt aufnehmen: Ursula von der Leyen will Anfang 2020 einen neuen quotMigrationspaktquot praumlsentieren. Im Dezember reisten ihr Stellvertreter Margaritis Schinas und Migrationskommissarin Ylva Johansson durch Europa, um die Lage zu eroumlrtern. Das Bundesinnenministerium hat eigene Vorschlaumlge vorgelegt, in deren Zentrum die Pruumlfung des Asylanspruchs an den EU-Auszligengrenzen steht.

Auch Grlić Radman glaubt, dass eine neue EU-Asylpolitik bei der Sicherung der Auszligengrenzen ansetzen sollte. Eine Reform der Dublin-Verordnung, die die Verteilung von Asylsuchenden auf die EU-Staaten regelt, sei auch gescheitert, weil niemand auf die groszlige Anzahl an Migranten vorbereitet gewesen sei, die waumlhrend der Fluumlchtlingskrise 2015 kamen. Auch das Schengen-System sei in Gefahr geraten, also eine EU ohne Kontrollen an den Binnengrenzen. Kroatien ist bisher nicht Mitglied des Schengenraumes, aber die EU-Kommission hat den Beitritt im Herbst empfohlen. Entscheiden muumlssen aber die anderen Mitglieder - einstimmig. Kroatien will dies nicht in der eigenen Praumlsidentschaft vorantreiben, sagt der fruumlhere Grlić Radman: quotWir sind nicht in Eile, aber wenn Deutschland sich dessen im zweiten Halbjahr annehmen koumlnnte, waumlre das gut.quot

Vorwuumlrfe, wonach Grenzschuumltzer seines Landes daran beteiligt seien, Migranten illegal zuruumlck uumlber die Grenze zu draumlngen, weist Grlić Radman zuruumlck: Kroatische Polizisten seien quotstreng, aber korrektquot. Kritische Berichte - zuletzt schrieb die britische Tageszeitung Guardian uumlber Schuumlsse auf einen jungen Afghanen an der Grenze zu Slowenien - werden genau verfolgt werden, solange Kroatien an der Spitze der EU und damit im Renlicht steht. Gleiches gilt fuumlr die Korruption, die laut Transparency International aumlhnlich verbreitet sei wie in Bulgarien, Ungarn oder Rumaumlnien.

Die Waumlhler, die bald uumlber eine zweite Amtszeit fuumlr Praumlsidentin Kolinda Grabar-Kitarović entscheiden und 2020 ein neues Parlament bestimmen, treibt noch etwas um: die enorme Abwanderung. Mehr als zehn Prozent der Kroaten haben das Land seit 1991 verlassen, weil es anderswo bessere Chancen gibt die Einwohnerzahl ist auf etwa vier Millionen gesunken. Grlić Radman begruumlszligt, dass eine Kroatin, Dubravka šuica, in der EU-Kommission fuumlr quotDemokratie und Demografiequot zustaumlndig ist. Foumlrdergelder aus Bruumlssel seien fuumlr viele Regionen wichtig, um gerade jungen Leuten Perspektiven zugeben.

Daher fordert Kroatien, so die dritte Prioritaumlt, ein quotEuropa, das sich entwickeltquot. Folglich solle der mehrjaumlhrige Finanzrahmen (MFR) fuumlr die Jahre 2021 bis 2027 nicht schrumpfen. Das Ringen um den MFR wird Kroatien jedoch nicht so intensiv beschaumlftigen wie Vorgaumlnger Finnland, denn EU-Ratspraumlsident Charles Michel hat das Budget zur Chefsache erklaumlrt. Zagreb koumlnnte also die vierte Prioritaumlt vorantreiben: Hinter quotEin Europa, das verbindetquot verbirgt sich der Appell, einen einheitlichen europaumlischen Verkehrsraum zu schaffen. Dazu gehoumlrt ein integrierter Energiemarkt und eine gute Dateninfrastruktur.