- Objavljeno: 11.12.2019.
Ministar Grlić Radman u intervjuu za Euractiv: Kroatien mit dem MFR-Vorschlag „nicht zufrieden“
Kroatien, das seine erste EU-Ratspräsidentschaft ab Januar 2020 übernimmt, ist „nicht ganz zufrieden“ mit dem finnischen Vorschlag für das nächste siebenjährige EU-Budget. Man wolle versuchen, den Vorschlag anzupassen, damit die Mittel für Kohäsion und Gemeinsame Agrarpolitik auf dem bisherigen Stand beibehalten werden können, so Kroatiens Außenminister Gordan Grlić Radman im Exklusivinterview mit EURACTIV.
Gordan Grlić Radman ist derzeit Außenminister Kroatiens.
Er sprach in Brüssel mit Zoran Radosavljević von EURACTIV.com.
Gordan Grlić Radman, bitte geben Sie uns doch einen Überblick über die Prioritäten der anstehenden EU-Ratspräsidentschaft Kroatiens.
Es gibt vier Prioritäten. Erstens: ein Europa, das sich weiter entwickelt und wächst. Es geht darum, Wirtschaftswachstum – nachhaltiges Wachstum und ausgewogenes Wachstum – von Ländern und Regionen zu schaffen, um so Unterschiede abzubauen und mehr Konvergenz zu erreichen. Zweitens: ein Europa, das verbindet – Verkehr, Energie, Digitalisierung, aber auch engere Verbindungen durch Kultur, Tourismus, Jugend.
Das dritte ist ein Europa, das schützt. Dies betrifft in erster Linie die Sicherheit der europäischen Bürger, die innere und äußere Sicherheit, die gute Zusammenarbeit der Justiz und der Innenministerien, die innere EU-Zusammenarbeit und die Außengrenzen. Kroatien kann hier viel beitragen, wenn man bedenkt, dass wir die längste Außengrenze haben, nämlich rund 1.000 km mit Bosnien-Herzegowina, und dass Kroatien inzwischen den Beitritt zum Schengenraum beantragt hat, was beweist, dass es die Grenzen schützen kann, auch wenn dies eine große Herausforderung ist.
Die vierte Priorität ist ein einflussreiches Europa. Wir meinen damit alle geopolitischen Situationen, mit Drittländern, der unmittelbaren Nachbarschaft, der Östlichen Partnerschaft, aber auch mit Blick auf die Erweiterung. Kroatien plant einen EU-Gipfel mit den Staats- und Regierungschefs der sechs Westbalkanländer. Denn es liegt im Interesse der EU und Kroatiens, eine stabile und friedliche Nachbarschaft zu haben. Wir wollen Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien und das Kosovo auf ihrem Weg in die EU unterstützen.
Dann ist da noch der Brexit, und sein weiterhin sehr ungewisses Endergebnis. Die Parlamentswahl findet am 12. Dezember statt, und wenn Johnson bleibt, können wir uns wohl auf einen geordneten Austritt einigen. Das Austrittsabkommen könnte voraussichtlich bis zum 31. Januar ratifiziert werden. Anschließend sollte Kroatien, das dann den Vorsitz im EU-Rat führen wird, mit der Arbeit an einem Abkommen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich beginnen. Natürlich sind aber verschiedene Szenarien möglich. Es ist auch möglich, dass Labour gewinnt, was die Situation mit Blick auf ein mögliches zweites Referendum noch komplizierter machen würde. So oder so: Der Brexit wird sicherlich ein Thema bleiben, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Annahme des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR). Die allgemeine Erwartung ist, dass es am besten wäre, wenn er noch während der kroatischen Ratspräsidentschaft angenommen würde. Es geht dabei um den Siebenjahreshaushalt; und das Haushaltsniveau ist von besonderem Interesse für die so genannten „Freunde der Kohäsionspolitik“, also die kleineren EU-Staaten und die neuesten EU-Beitrittsländer. Wichtig ist dies insbesondere für Kroatien, das bisher noch keine Möglichkeit hatte, diese Kohäsionsgelder zu nutzen.
Und natürlich ist auch die Gemeinsame Agrarpolitik von großer Bedeutung. Kroatien hat viel Potenzial für die Nutzung der GAP, und es ist uns sehr wichtig, dass der GAP-Umfang angemessen ist. Wir müssen nun mit den „Kohäsionsfreunden“ sowie natürlich mit den Nettozahler-Ländern verhandeln, um eine gemeinsame Lösung zu finden.
Es ist möglich, dass es [diese Woche] keine endgültige Einigung geben wird. Dann dürfte es im Februar eine Sondertagung des Europäischen Rates geben. Das würde also auch während der kroatischen Präsidentschaft geschehen. Es ist wichtig, denn der Haushalt muss ab 2021 einsatzbereit sein, und jede weitere Verzögerung bedeutet auch eine Verzögerung bei der Einleitung sehr wichtiger Programme.
Die finnische Ratspräsidentschaft hat einen eigenen Vorschlag für den MFR gemacht. Wird Kroatien mit diesem Vorschlag weiterarbeiten oder einen eigenen einbringen?
Wir waren nicht ganz zufrieden mit dem finnischen Vorschlag. Deswegen wird Kroatien, gemeinsam mit anderen Staaten, versuchen, einen neuen Vorschlag auszuarbeiten. Ich glaube, es gibt noch Platz für Verbesserungen gegenüber dem finnischen Plan.
In dieser Hinsicht muss man bedenken, dass das heutige Kroatien auf den Ruinen des ehemaligen Jugoslawiens erbaut wurde. Das Land hatte unter Aggression, Krieg und Zerstörung zu leiden. Kroatien musste von einer Position weit unter Null starten, um die heutigen Standards zu erreichen. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass Kroatien die Möglichkeit erhält, die Kohäsions- und GAP-Mittel gut zu nutzen, damit es sich noch weiter stärken und die EU-Standards erreichen kann.
Tatsächlich werden im finnischen Entwurf aber Einschnitte für Kohäsion und GAP vorgeschlagen…
Genau. Außerdem soll der Referenzzeitraum, der derzeit N+3 Jahre beträgt, verkürzt werden. Wir hingegen wollen die aktuelle Situation, einschließlich des Referenzzeitraums, beibehalten und diesen nicht auf zwei Jahre reduzieren, wie es einige andere tun wollen. Wir wollen sowohl den N+3-Zeitraum als auch das Niveau, den entsprechenden Prozentsatz, beibehalten.
Ein kleiner Sprung zur Außenpolitik: Aktuell schwelt ein Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei. Letztere hat kürzlich ein Abkommen mit Libyen über die Hoheits- und Nutzungsgebiete im Mittelmeer unterzeichnet und dabei Griechenland komplett außen vor gelassen. Was kann und sollte die EU in dieser Hinsicht tun?
Das darf uns nicht gleichgültig sein. Was wir tun können, ist, nach Wegen und Methoden zu suchen, um besser zusammenzuarbeiten. Josep Borrell [der neue Hohe Außenvertreter der EU] will die Dinge verbessern, mit allen reden und dabei herausfinden, ob wir neue Instrumente haben, bessere Verbindungen aufbauen und gemeinsam handeln können.
Klar ist in Bezug auf diese drei Länder [Griechenland, Libyen, Türkei] auch: Griechenland ist ein EU-Mitglied; und Kroatien ist absolut solidarisch mit jedem Mitglied unseres Clubs. Deswegen müssen wir gut aufpassen, was passiert. Hier muss die EU handeln. Und wir haben die Institutionen, die Entscheidungen treffen können, nämlich die EU-Ratsversammlungen.
Zur Türkei: Wir haben die Militäroffensive im Nordosten Syriens verurteilt, aber wir haben Raum für Dialog gelassen. Die Türkei ist NATO-Mitglied und versorgt aktuell vier Millionen Migranten. Das sind Tatsachen, die wir nicht ignorieren sollten. Wir müssen das Gesamtbild betrachten und mit allen in diesem geopolitischen Raum Beteiligten sprechen.
Dennoch: Wenn sich die EU als geopolitischer Akteur durchsetzen will, braucht sie geeignete Mechanismen und Instrumente. Es ist nicht gut, wenn die EU erst dann handelt, wenn etwas passiert. Einige Situationen sollten bereits im Voraus verhindert werden. Das bedeutet, dass wir eine gute gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln müssen.
Sprechen wir über den Westbalkan: Wie schätzen Sie das französische Non-Paper ein, in dem ein Beitrittsprozess in sieben Stufen gefordert wird?
Das Thema Westbalkan und die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien standen diesen Sommer ja sehr im Mittelpunkt, zumal die beiden Länder von der Juncker-Kommission grünes Licht erhalten hatten. In dieser Hinsicht galt es als wichtig, wie der deutsche Bundestag reagieren würde. Gezeigt hat sich, dass es aus Berlin Unterstützung gibt. Deutschland hat sein Gewicht hinter die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gestellt. Dann wurden sie aber von Macrons Vorstoß, von seiner Weigerung, der Aufnahme von Beitrittsgesprächen zuzustimmen, überrascht. Macron fordert eine Neugestaltung eines laufenden Prozesses – während wir Serbien und Montenegro bereits auf dem Weg haben.
Wir alle waren ein wenig überrascht, aber es ist das legitime Recht Frankreichs und anderer Länder, ihre eigenen Ansichten zu vertreten. Wir müssen uns ansehen, was Artikel 49 des AEU-Vertrags in dieser Hinsicht besagt, um zu sehen, wie wir im Allgemeinen vorgehen wollen. Aber es ist schwierig, die Regeln zu ändern, solange das Spiel noch läuft.
Das wird also sicherlich eine große Herausforderung für die kroatische Ratspräsidentschaft werden, denn wir hatten eigentlich erwartet, dass die beiden Länder im kommenden Jahr bereits Beitrittsverhandlungen aufnehmen würden. Es ist aber immer noch möglich, dass hier etwas passiert. Der französische Vorschlag hat vielleicht die Debatte wieder in Gang gesetzt. Es gibt auch positive Aspekte, es ist nicht ausschließlich eine kalte Dusche.
Wobei: Auch eine kalte Dusche kann nützlich sein. Sie hilft vielleicht ein wenig, uns zu fokussieren und mit Ernsthaftigkeit zu verfahren, wenn es um konkrete Entscheidungen geht. Wir versuchen, das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wichtig [die Erweiterung] auch für die EU und nicht nur für die Nachbarn ist. Sie ist auch wichtig, um eine stabile Nachbarschaft zu haben. Kroatien wird als ehrlicher Vermittler auftreten, und wir werden unser Bestes tun, um die besten Lösungen zu finden, wahrscheinlich schon vor dem Gipfel im Mai.
Sie sprechen damit den geplanten Balkan-Gipfel Anfang Mai in Zagreb an. Besteht nicht die Gefahr, dass dies „nur ein weiterer Gipfel“ wird? Oder können wir tatsächlich wichtige Veränderungen erwarten – sei es auf dem Gipfel selbst oder, wie Sie sagen, sogar davor? Kann die aktuelle Blockade bei den Beitrittsprozessen gelöst werden?
Unser Ziel ist es jedenfalls, den Gipfel nicht „l’art pour l’art“ zu veranstalten, also nur um der Sache willen. Der Gipfel muss mit Inhalt gefüllt und mit konkreten Schlussfolgerungen verbunden sein. Es ist sehr wichtig, sich aktiv zu engagieren, um bis März greifbare Konturen dieses Gipfels zu erarbeiten. Wir setzen uns aktiv dafür ein.
Auch Kroatien hat noch einen Beitrittsprozess vor sich: Sie haben kürzlich gesagt, Sie erwarten während der deutschen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 Fortschritte in Bezug auf den Schengenbeitritt. Glauben Sie, dass Kroatien dieser Beitritt noch vor Bulgarien und Rumänien erlaubt wird, obwohl die beiden einige Jahre vor Kroatien in die EU gekommen sind?
Nun, das sind alles Fakten, aber wir schauen nicht auf andere Länder. Wir schauen uns an, was wir selbst erreicht haben. Und: Wir haben die acht festgelegten Bedingungen erfüllt. Deshalb haben wir den Antrag [auf einen Schengen-Beitritt] gestellt.
Wir haben [von der Kommission] grünes Licht erhalten, ohne weitere Bedingungen. Das ist ein klarer Indikator dafür, dass das Expertengremium, das die Bewertung vorgenommen hat, seine Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Daten getroffen hat. Und diese Daten sollten auch das entscheidende Element für die Mitgliedstaaten bei ihrer politischen Entscheidung sein.
Der Schengenraum hat während der Migrationskrise seine eigene Krise erlebt, aber dieser Raum muss existieren, er ist notwendig. Meiner Meinung nach ist es Kroatien gelungen, die Grenze der EU zu schützen – trotz aller Schwierigkeiten, den Menschenschmugglern, der Grenzkriminalität und obwohl unsere Grenze ein gewisses Ziel ist und wir genauestens unter die Lupe genommen werden.
Das bedeutet auch, dass wir praktisch schon „drinnen“ sind: Wir erfüllen alle Kriterien und setzen alle Mechanismen entsprechend ein. Wir können daher mit Recht sagen, dass Kroatien es verdient, dem Schengenraum beizutreten.
Das sieht Kroatiens Nachbar Slowenien möglicherweise anders. Schließlich gibt es immer noch den Streit um die Grenzziehung in der Bucht von Piran. Glauben Sie, dass Slowenien den kroatischen Schengen-Beitritt blockieren wird?
Ich glaube, Slowenien wird klug und weise handeln. Dieser kleine Stein im Schuh irritiert uns ja beide, Kroatien und Slowenien. Der Schengen-Beitritt Kroatiens liegt im Interesse Sloweniens, denn damit wird auch die Grenze Kroatiens zur Außengrenze der EU, während die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien sich in eine Binnengrenze zwischen zwei Schengenstaaten verwandelt.
In dieser Hinsicht wird der Schengen-Beitritt Kroatiens vor allem Slowenien helfen. Und ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen und Politiker in Slowenien das auch so sieht.
Wechseln wir zu einer anderen Grenze: Kroatien soll eine EU-Außengrenze – diejenige zu Bosnien-Herzegowina – schützen. Es vergeht aber kaum ein Tag, an dem NGOs oder Menschenrechtsaktivisten nicht von unmenschlicher Behandlung von Migrantinnen und Migranten durch die kroatische Polizei berichten. Was muss sich dort ändern?
Zunächst einmal: Es geht nicht darum, dass es in Westbosnien Geflüchtete gibt. Die Frage ist, wie sie überhaupt dorthin gekommen sind. Das muss geregelt werden. Wir haben bewiesen, dass wir die Grenze zu Bosnien-Herzegowina schützen können. Aber wie sind diese Migranten überhaupt dorthin gekommen, wie sind sie so nah an die kroatische Grenze gekommen? Unser Innenminister ist sehr aktiv in dieser Sache und wir haben gute Unterstützung von den Mitgliedsstaaten.
Flüchtlinge sind weiterhin ein Thema; das ist eine humanitäre Angelegenheit. Illegale Migration ist aber etwas anderes. Wenn wir eine gemeinsame Migrationspolitik hätten, wenn alle Mitgliedstaaten geeignete Mechanismen entwickeln würden, würde dies die Zusammenarbeit und den Schutz der Grenzen erheblich erleichtern.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die kroatische Polizei schützt die Grenze vor illegaler Migration. Unsere Polizisten sind gut ausgebildet, sie handeln in Übereinstimmung mit den kroatischen und den EU-Vorschriften. Unsere Polizei rettet diese Menschen oft vor dem Ertrinken, Erfrieren oder Ersticken in verschlossenen Lastwagen. Und wir sind dabei an drei Punkten aktiv: an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina, innerhalb Kroatiens und an der Grenze zu Slowenien.
Eine abschließende Frage: Der Nobelpreis für Literatur wurde nun an den österreichischen Autor Peter Handke vergeben. Dieser gilt weithin als Fürsprecher des ehemaligen Regimes von Slobodan Milošević in Serbien. Kroatien hat sich einer Reihe anderer Länder angeschlossen, die die Preisverleihung boykottierten. Warum?
Diese Länder [Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, das Kosovo und die Türkei] waren direkte Zeugen der Ereignisse der frühen 1990er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt wählte Handke eine Seite. Die aus dem Zerfall Jugoslawiens hervorgegangenen Länder erinnern sich gut an die Texte von Herrn Handke, und bei allem Respekt vor der Rede- und deswegen auch Schreibefreiheit: Für uns ist unverständlich, dass er sich auf die Seite des Milošević-Regimes gestellt hat – zu einer Zeit, als es selbst in Serbien durchaus abweichende Ansichten und Vorwürfe gegenüber Milošević gegeben hat.
Die Tatsache, dass Handke sogar noch an [Miloševićs] Beerdigung teilgenommen hat, lässt uns noch fester glauben, dass dieser Nobelpreis an den falschen Mann vergeben wurde.
[Bearbeitet von Frédéric Simon und Tim Steins]