- Publiziren: 04.02.2014.
Interview der Ministerin Pusic, die Welt Online/den 4. Februar 2014
"Angst vor Kroaten-Schwemme ist unbegründet"
Die kroatische Außenministerin Vesna Pusic über den EU-Beitritt ihres Landes, wirtschaftlichen Erfolg und das Schüren von Ressentiments gegenüber Arbeitsmigranten innerhalb Europas. Von Silke Mülherr
Die Welt: Kroatien ist nun seit sechs Monaten EU-Mitglied. Was hat sich mit dem Beitritt konkret für die Kroaten verändert?
Vesna Pusic: Die spürbarste Veränderung für die Kroaten ist der Wegfall der Zölle. Das ist entscheidend für ein so kleines Land, in dem die nächste Grenze nie weit ist. Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch die Grenzen wegfallen. Manche Kroaten sehen diese Entwicklung als selbstverständlich an. Aber den Menschen meiner Generation und vielleicht der danach würde das nie einfallen. Wer den Krieg direkt miterlebt hat, der schätzt den Wert von Demokratie und Frieden nicht gering.
Die Welt: Aber einem Großteil der Kroaten scheint die Lust an der EU vergangen zu sein. Die Zustimmungswerte liegen bei unter 40 Prozent.
Pusic: Sie werden kaum jemanden in Kroatien finden, der meint, das Land gehöre nicht in die EU. Und die Zustimmungswerte zur EU reflektieren nicht immer das, was die Menschen wirklich von Europa halten. Häufig geht es dabei auch um einen Denkzettel für die amtierende Regierung oder um die Enttäuschung, dass der Beitrittsprozess so lange dauerte. Immerhin haben im Referendum über den EU-Beitritt 66 Prozent der Wähler mit ja gestimmt.
Die Welt: Kaum sind Sie Mitglied, startet die EU-Kommission ein Defizitverfahren gegen Kroatien. Immer noch froh, Teil des Clubs zu sein?
Pusic: Auf jeden Fall! Druck aus Brüssel kann helfen, Ziele zu realisieren. Auch uns ist daran gelegen, unser Defizit senken. Dafür haben wir eine ganze Reihe an Maßnahmen eingeleitet. Dabei geht es nicht allein um Einschnitte, sondern wir wollen auch das Investitionsklima in Kroatien verbessern. Die EU-Kommission hat uns im vergangenen Dezember einen ersten Erfolg attestiert: Kroatien ist unter den fünf EU-Ländern, die ihr Wirtschaftsklima verbessern konnten. Das bestärkt uns in unserem Reformkurs, der sich unter anderem gegen illegales Bauwesen und gegen bürokratische Hürden für Baugenehmigungen richtet.
Die Welt: Absichten sind gut, gemessen wird Ihr Land allerdings an Ergebnissen. Bundeskanzlerin Angela Merkel machte zum Zeitpunkt des kroatischen Beitritts klar, der Reformeifer dürfe nun nicht nachlassen. Konkret sprach sie die Felder Korruptionsbekämpfung und Rechtssicherheit. Zu Recht?
Pusic: Unsere Reformen sind nur erste Schritte, das ist der Regierung in Zagreb schon klar. Aber man muss ja irgendwo anfangen. Kroatien ist immer noch dabei, seine staatlichen Institutionen aufzubauen. Die Bemühungen im Kampf gegen Korruption und für mehr Rechtssicherheit sind ein Prozess. Man muss immer gegen die Korruption ankämpfen, wer damit aufhört, der fällt zurück.
Die Welt: Hat der Beitritt zur Euro-Zone derzeit Priorität für Kroatien?
Pusic: Der Euro-Beitritt ist erstrebenswert für Kroatien – auch weil er bescheinigt, dass man die Maastricht-Kriterien erfüllt hat. Aber natürlich ist damit angesichts der anhaltenden Euro-Krise auch ein Risiko verbunden. Wir werden sicherlich nicht versuchen, uns in die Währungsunion hineinzuschmuggeln, ohne wirtschaftlich dafür gewappnet zu sein. Erst wenn wir ausreichend wettbewerbsfähig sind, werden wir diesen Schritt gehen. Das wird vermutlich noch mindestens fünf Jahre dauern.
Die Welt: Die beiden anderen großen Themen sind Schengen und die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Finden Sie es unfair, dass Deutschland seinen Markt derzeit noch für Kroaten sperrt?
Pusic: Dieser Schritt hat nichts mit Kroatien konkret zu tun, sondern zeugt viel mehr von einem vorsichtigen Umgang in Berlin mit dem Thema EU-Erweiterung allgemein. Es gibt nur 4,3 Millionen Kroaten, davor muss sich der deutsche Arbeitsmarkt nicht wirklich fürchten. Die Angst vor einer plötzlichen Kroaten-Schwemme jedenfalls ist unbegründet – wir konnten auch schon in der Vergangenheit ohne Visum einreisen. Insbesondere in Deutschland gibt es eine lange Tradition kroatischer Gastarbeiter, die meisten von ihnen sind bestens integriert.
Die Welt: Vom Segen der Freizügigkeit innerhalb der EU sind dieser Tage nicht alle überzeugt. Stattdessen geraten Rumänen und Bulgaren unter Generalverdacht, Sozialtouristen zu sein. Der erste Vorgeschmack auf den Europa-Wahlkampf?
Pusic: Das Schüren von Ressentiments gegenüber EU-Arbeitsmigranten verrät grundlegende europäische Prinzipien. Aber leider müssen wir beobachten, dass rechte Parteien mit ausländerfeindlichen Kampagnen Europawahlen gewinnen. Besorgniserregend ist für mich, dass Politiker der Mitte diese Parolen nun übernehmen, um einer Wählerabwanderung nach rechts zuvorzukommen. Ein Europa ohne freien Personen- und Warenverkehr ist kein Europa.
Die Welt: Und dabei klopfen die nächsten Beitrittskandidaten schon an die Tür, darunter Nachbarn Kroatiens wie Serbien. Sollte man den Prozess vorerst auf Eis legen, zugunsten einer Konsolidierung der Union?
Pusic: Der Erweiterungsprozess ist in meinen Augen eines der erfolgreichsten Instrumente der EU-Politik. Die Beitrittsperspektive hat ehemals kommunistischen Ländern ein Ziel und eine Richtung vorgegeben, ohne die der Umbruch weitaus weniger friedlich verlaufen wäre. Bei den Erweiterungsschritten muss man allerdings zwischen zwei Gruppen differenzieren. Die Aufnahme der Balkanländer halte ich eher für einen Konsolidierungs- denn für einen Erweiterungsschritt. Dabei wurde, wenn man so will, ein Kreis geschlossen und Länder aufgenommen, die bereits von EU-Staaten umgeben waren. Darüber hinaus gibt es echte Erweiterung, wie es beispielsweise die Aufnahme der Türkei und der Ukraine bedeuten würde. Ein solcher Schritt würde den Charakter der Union verändern, und darum wird er weder leichtfertig noch schnell gegangen.
Die Welt: Wie steht Kroatien zu einem EU-Beitritt der Türkei?
Pusic: Wir sind gegenüber einem türkischen EU-Beitritt grundsätzlich aufgeschlossen, weil das aus europäischer Sicht durchaus Vorteile hat. Der EU-Beitrittsprozess bedeutet für Kandidaten, bestimmte Prinzipien und Verfahrensweisen zu übernehmen – und dann auch einzuhalten. Zeigt Brüssel der Türkei hingegen die kalte Schulter, besteht die Gefahr einer Radikalisierung der türkischen Politik. Aber ich bleibe dabei: Die grundsätzliche Entscheidung muss in der Türkei fallen: Führt der Weg in die EU – oder eben nicht.
Die Welt Online, den 4. Februar 2014.
http://www.welt.de/politik/ausland/article124521803/Angst-vor-Kroaten-Schwemme-ist-unbegruendet.html
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