Im Gespräch: Staatspräsident Ivo Josipovic „Kroatien hat keine Zeit zu verlieren“

Im Gespräch: Staatspräsident Ivo Josipovic „Kroatien hat keine Zeit zu verlieren“ An diesem Donnerstag führt der Komponist, Jurist, Sozialdemokrat und Präsident politische Gespräche in Berlin. Dabei will er dafür werben, dass Kroatien bald der Europäischen Union beitreten kann. Zuvor spricht er im F.A.Z.-Interview.

Im Gespräch: Staatspräsident Ivo Josipovic „Kroatien hat keine Zeit zu verlieren“ An diesem Donnerstag führt der Komponist, Jurist, Sozialdemokrat und Präsident politische Gespräche in Berlin. Dabei will er dafür werben, dass Kroatien bald der Europäischen Union beitreten kann. Zuvor spricht er im F.A.Z.-Interview. Herr Präsident, Kroatien verhandelt seit mehr als fünf Jahren über den EU-Beitritt, und die beiden besonders heiklen Kapitel Justiz und Wettbewerb sind noch nicht abgehakt. Glauben Sie, dass die Verhandlungen wirklich bis Ende Juni abgeschlossen Das ist realistisch, weil Kroatien ernsthafte Reformen durchführt. Die Wettbewerbsregeln der EU wurden übernommen und umgesetzt. Schwierigkeiten gibt es noch beim Schiffbau, der nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein soziales Problem darstellt, sowie bei den Agrarsubventionen. Im Bereich Justiz hat Kroatien eine ganze Reihe von Vorschriften verabschiedet, die zur Steigerung der Effizienz beitragen. So wurde zum Beispiel die Anzahl der unbehandelten Fälle von 1,8 Millionen auf siebenhundertfünfzig- bis achthunderttausend verringert. Zudem wurde die Fachkompetenz erhöht, und die Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption wurden verstärkt. Es ist natürlich nicht zu erwarten, dass die kroatische Justiz in wenigen Monaten so arbeiten wird wie die deutsche. Aber wir erwarten, dass der positive Trend anerkannt wird. Kroatien ist fest entschlossen, an den Reformen festzuhalten, in der Justiz wie in anderen Bereichen. Das haben auch schon Rumänien und Bulgarien versprochen, aber kaum waren sie in der EU, war es mit dem Reformeifer schon wieder vorbei. Warum sollte das in Kroatien anders sein? Weil die Ereignisse des letzten Jahres das beweisen. Die ganze Gesellschaft ist sich darüber im Klaren, wie schädlich die Korruption ist und dass sie bekämpft werden muss. Dieser Prozess ist unumkehrbar und unabhängig vom EU-Beitritt. Kroatien ist nicht mehr so wie noch vor einigen Jahren. Die kroatische Gesellschaft ist weitgehend in die europäische integriert, unsere Beziehungen zu Slowenien, Italien, Ungarn, Österreich und Deutschland sind sehr eng. Das zeigt sich allerdings auch in der Korruption. Wie unsere Partner von uns einen kompromisslosen Kampf gegen die Korruption erwarten, so erwarten wir von ihnen, dass sie ebenfalls kompromisslos den Spuren folgen, die in ihre Länder führen. Es gibt in Kroatien keinen größeren Korruptionsfall, der nicht mit der Korruption in EU-Staaten verbunden wäre. Im Herbst finden Parlamentswahlen statt. Glauben Sie, dass es bis dahin noch mutige Reformen geben wird? Kroatien ist heute besser auf den EU-Beitritt vorbereitet, als es andere Beitrittsländer waren. Es ist richtig, dass einige Reformen spät kommen, man muss aber auch ihre sozialen Auswirkungen berücksichtigen. Der Umbau von einem System zu einem anderen braucht Zeit. Natürlich wäre es besser gewesen, wenn die Reformen im Schiffbau und in der Landwirtschaft früher eingesetzt hätten. Strukturelle Defizite gibt es nicht nur dort. Kroatien hat einen aufgeblähten Staatsapparat und die höchsten Steuern in ganz Südosteuropa, die Schulden wachsen, die Investitionen stagnieren. Wandelt man auf griechischen Pfaden? Ich bin mir dieser Probleme durchaus bewusst und befürworte Reformen in der Verwaltung, die überdimensioniert und zu wenig effektiv ist, auch auf lokaler Ebene. Es ist auch wahr, dass Kroatien nicht die günstigsten Bedingungen für Investoren bietet, es gibt zu wenige Förderungsmaßnahmen, das Steuersystem müsste geändert werden. Auch Zulassungsverfahren werden verschleppt, was zur Demotivierung ausländischer Investoren beiträgt. Eine umfassende Verwaltungsreform würde nicht nur die Kosten senken, sie würde auch die Korruption eindämmen, denn komplizierte und langwierige Verwaltungsverfahren sind ihr Nährboden. Daher bin ich dafür, dass man sofort mit diesen Reformen beginnt. Kroatien hat keine Zeit zu verlieren, dieses Land hat die Kraft zu Reformen, und die Bürger warten darauf. Das griechische Beispiel zeigt, wie schwer es ist, Reformen durchzuführen, die zu lange aufgeschoben wurden. Sie sind erst seit einem Jahr im Amt, und die Umfragen bestätigen Ihnen eine Popularität von 87 Prozent. Die Unterstützung des EU-Beitritts aber nimmt dramatisch ab. Macht die kroatische Gesellschaft die Schotten dicht? Das würde ich nicht sagen. Allerdings hat sich die ursprüngliche Begeisterung für die EU im Zuge der langen Verhandlungen erschöpft. Wenn man ständig Kritik aus der EU hört, auch wenn sie gerechtfertigt ist, und zugleich immer wieder um ein, zwei Jahre vertröstet wird, dann ist das frustrierend. Wahrscheinlich sind auch in Kroatien unrealistische Erwartungen genährt worden. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bei dem Referendum für den Beitritt aussprechen wird. Es gibt keine politische Partei, die dagegen wäre. Wir alle, der Präsident, die Regierung und die Parteien, haben die Verpflichtung, den Bürgern die Bedeutung des EU-Beitritts zu erklären. Aber auch in der EU muss klar werden, warum der Beitritt Kroatiens wichtig ist und der EU nützt. Die Sorgen, er würde nur neue Probleme aufwerfen, müssen abgebaut werden. Man muss die positiven Folgen des Beitritts für die Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung in dieser Region in Betracht ziehen. Kroatien ist eine Brücke zu dieser Region. Die Last der Geschichte wiegt hier besonders schwer. An welche Grundsätze soll man sich halten, um damit umzugehen? Ich denke darüber wie die meisten Kroaten. Ein Verbrechen ist ein Verbrechen, und jeder Verbrecher muss sich seiner Verantwortung stellen, ohne Rücksicht darauf, ob es im Zweiten Weltkrieg begangen wurde, ob es um Machtmissbrauch während des kommunistischen Regimes geht oder um Verbrechen, die während des letzten Krieges von welcher Seite auch immer in Jugoslawien begangen wurden. Die Verbrechen der Partisanen sind genauso zu verurteilen wie die Verbrechen kroatischer Soldaten im Unabhängigkeitskrieg, was jedoch den Wert des antifaschistischen Kampfes und des Krieges zur Verteidigung der Heimat nicht mindert. Jeder hat ein Recht auf ein Grab, und seine Angehörigen haben das Recht, es mit Blumen zu schmücken. Dabei muss man sich aber auch dessen bewusst sein, für welche Werte er eintrat. Die unschuldigen Opfer verdienen besondere Pietät und Achtung. Sie haben sich in Sarajevo explizit für die kroatische Politik in den neunziger Jahren entschuldigt, die zur bosnischen Tragödie beigetragen hat. Wir alle, die Staatsoberhäupter von Bosnien-Hercegovina, Serbien und Kroatien, haben uns vor allen Opfern verbeugt, denn sie alle verdienen unsere Achtung. Es hat Widerstand gegen die Versöhnungspolitik gegeben, aber sie wird immer mehr angenommen, weil sie zukunftsträchtig ist. Vieles ist noch offen: das Schicksal der Vermissten, Eigentumsfragen und das Problem der Flüchtlinge, die Rechtsnachfolge der Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawien, Grenzfragen, die Rückgabe geraubten Kulturgutes, soziale Fragen wie Renten und Wohnungen. Die Politiker dieser Generation haben die Verpflichtung, diese Probleme zu lösen und sie nicht nachfolgenden Generationen zu überlassen. Besonders enge und vielfältige Beziehungen bestehen zwischen Kroatien und Bosnien-Hercegovina. Das kroatische Volk ist eines der drei konstituierenden Völker des Landes. Es gilt hier der Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, aber aus historischen Gründen erwähnt werden muss. Es gibt aber auch die Erwartung, dass in Bosnien-Hercegovina alle drei Völker Gleichberechtigung genießen, denn das kroatische Volk ist gegenüber den anderen beiden benachteiligt. Finden Sie noch Zeit zum Komponieren, oder mussten Sie die Musik der Staatsräson opfern? Zum Komponieren komme ich leider nicht mehr. Aber das Protokoll verschafft mir ab und zu die Gelegenheit, außerordentlich gute Konzerte zu besuchen, wie dieses Mal in Berlin, wo ein Konzert der Berliner Philharmoniker auf dem Besuchsprogramm steht. Die Fragen stellte Karl-Peter Schwarz. http://www.faz.net/ ; 19.01.2011

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